Vor ein paar Jahren stieß ich als Stadtführerin in Granada bei meinen Buchrecherchen auf den Band "Liebe verwandelt die Wüste in einen duftenden Blumengarten. Liebesgedichte aus dem arabischen Zeitalter Spaniens". Diese Gedichtsammlung bewegte mich dazu, die Autoren Sylvia Alphéus und Lothar Jegensdorf anzuschreiben. So ist ein anregender Briefwechsel zustande gekommen. Und aus diesem Grund möchte ich sie auch in meinem Blog zu Worte kommen lassen.
— Anastasia Lüpkes
Sylvia Alphéus – Lothar Jegensdorf: Córdoba: „Torre de la Calahorra"
In Córdoba begann unsere Leidenschaft für die Literatur des spanischen Mittelalters, die uns bis heute berührt und fasziniert. Am Anfang stand ein „Turmerlebnis": ein Besuch des „Torre de la Calahorra" an der Puente Romano in Córdoba in den frühen 1990er Jahren.
In diesem „Museum der drei Kulturen" gibt es eine eindrucksvolle Multimedia-Show mit großformatigen Personenbildern, Texttafeln, Musikeinspielungen und Sprachsequenzen, die die geistige Welt von al-Andalus den Besuchern sinnenhaft präsentieren. Aus den Werken des arabischen Philosophen Averroes, des jüdischen Religionsgelehrten Maimonides, des christlichen Königs Alfons X (genannt „Der Weise") und des mystischen Dichters Ibn Arabí werden prägnante Zitate vorgetragen.
Sie handelten von den grundlegenden Prinzipien des Denkens, vom Streben des Menschen nach Erkenntnis, vom Verhältnis von Offenbarung und Vernunft, vom Ethos der Toleranz zwischen den Religionen, vom Sinn menschlichen Lebens und vom Traum einer gerechten Gesellschaftsordnung.
Das sind Themen, die die geistige Welt des spanischen Mittelalters bewegten. Sie haben seitdem bis heute in der europäischen Geistesgeschichte ihre zeitlose Aktualität behalten.
Cordoba: „Wallâda und Ibn Zaydûn"
Für zehn Tage hatten wir uns in Córdoba im Hotel „Maimonides" einquartiert, das unmittelbar neben der Großen Moschee liegt. Da wir keine Eile hatten, konnten wir gelassen durch die Gassen streifen, wir besichtigten die spärlichen Reste der ehemalige Synagoge und entdeckten auf der Plaza El Campo de los Márties ein ungewöhnlich gestaltetes Denkmal, die Stadt Córdoba dem berühmtesten, gleichwohl tragischen Liebespaar ihrer Zeit gestiftet hat, der Omayaden-Prinzessin Walláda dem Dichter Ibn Zaydún.
Bis heute ist ihre tragische Liebesgeschichte in den Herzen der Menschen von Córdoba lebendig. Unsere menschliche und literarische Neugier war entfacht.
Ibn Zaydûn
Ach, wie nahe waren wir uns und heute, ach, wie fern! Das Schicksal trennte uns. Mein Innerstes, es lodert. Es gibt keinen Tau, der mein Verlangen kühlt. Nur die Pupillen werden nass von meinen Tränen.
Übersetzung der beiden arabischen Inschriften auf dem cordobeser Denkmal „Prinzessin Wallâda und Ibn Zaydûn"
Wallâda
Ich bin eifersüchtig auf meine Augen, auf mich, auf dich, auf deine Zeit und deinen Ort. In die Pupillen hab ich dich eingraviert. Nie wird erlöschen meine Eifersucht.
Nachwirkungen: Suchen und Finden
Kaum waren wir wieder in unseren niedersächsischen Heimat, begannen wir jener vergangenen multikulturellen Epoche der spanischen Geschichte nachzuspüren.
In fast jedem Reiseführer Spanien finden wir Hinweise auf jene Jahrhunderte, in denen Juden, Araber und Christen zumindest zeitweise – je nach politischen und religiösen Rahmenbedingungen – relativ friedlich, tolerant und produktiv miteinander umgingen („convivencia"). Wie war das vor 1000 Jahren bei allen Unterschieden dieser drei Religionen und den Konflikten untereinnder möglich? Ein Wunder oder ein gezieltes Unternehmen?
Während umfangreicher Literatur-Recherchen entdeckten wir einen umfangreichen Schatz von ursprünglichen arabischen und hebräischen Gedichten, verfasst zwischen dem 9. und 15. Jahrhundert.
Auch vor 1000 Jahren drücken Menschen in poetischer Weise ihre Erfahrungen, Gefühle, Hoffnungen, Ideale, aber auch ihre Befürchtungen und Ängste aus. Wir waren berührt und sind bis heute fasziniert von weithin vergessenen Reichtum, der zum kulturellen Erbe Spaniens und Europas gezählt werden kann. Es ist zwar Hebraisten und Judaisten bekannt, aber vielleicht nur einer Handvoll Spanienreisenden, obwohl jährlich Millionen die Iberische Halbinsel besuchen.
Den Funken weitergeben
Zunächst erzählten wir von unseren Entdeckungen mit Enthusiasmus unseren Freunden und Bekannten. Sie ermunterten uns, eine erste Lesung in privatem Kreis abzuhalten. Daraus ergaben sich durch Mundreklame weitere Lesungen an unterschiedlichen Orten in Deutschland und Spanien: in Akademien, Kulturvereinen, Kirchen und Synagogen, Museen und Bibliotheken.
Es gibt bei literarisch Interessierten und Spanienfreunden offenbar eine Nachfrage, dieses weithin unbekannte literarische Terrain zu erkunden, sobald man sie auf diese Poesie aufmerksam macht, die einen Blick in die Tiefenstruktur der spanischen Mentalität und Kultur gewährt. Nach diesen Lesungen wurden wir regelmäßig um unser Manuskript und um die zitierten Gedichte gebeten.
Zwei kommentierte Anthologien
Daher machten wir uns erneut an die Arbeit, sammelten in teilweise alten und entlegenen Veröffentlichungen, übersetzten, ordneten, interpretierten und verfertigten schließlich zusammenfassende Texte mit dem Ziel einer möglichen Veröffentlichung. Fachleuten legten wir unsere Manuskripte zur inhaltlichen Überprüfung vor. Einen Verlag zu finden, war nicht einfach. Doch es gelang. Nun liegen von uns zwei kommentierte Anthologien als Ergebnisse unserer Erkundungen vor Ort, Recherchen und vertiefenden Literaturstudien vor:
"Liebe verwandelt die Wüste in einen duftenden Blumengarten"
Arabische Dichterinnen und Dichter besangen auf der Iberischen Halbinsel das universelle Gefühl der in all ihren Facetten. Ihre Gedichte handeln von höchster Freude und tiefstem Leid, von Sehnsucht und Erfüllung, von dauerhafter Liebe, erotischen Abenteuern und mystischen Erfahrungen.
Kommentierte Gedichte zu folgenden Themen:
„Liebe in der Natur", „Vom Wesen der Liebe", „Schönheit der Frau", „Liebesvereinigung", „Liebe zwischen den Religionen", „Arabischer Minnesang", „ Liebe als mystisches Ereignis".
Liebesgedichte aus dem arabischen Zeitalter Spaniens.
Die jüdisch-hebräische Lyrik erblühte auf der Iberischen Halbinsel zwischen dem in der Begegnung mit der arabischen Kultur. Auf dem Hintergrund ihrer religiösen Tradition wandten sich die jüdischen Dichter von al-Andalus auch den Freuden der Welt zu. Ihre Gedichte können uns auch Jahrhunderte später berühren.
Zum literarischen Panorama des Wunders von al-Andalus gehört die Poesie der damaligen Christen. Was und wie dichteten christliche Poeten in den Zeiten von al-Andalus? – Diese Frage werden wir in einer geplanten dritten Anthologie beantworten.
Zitate aus dem "TORRE de la calahorra" in den ausstellungsräumen des museums finden wir die Texte von den vertretern aller drei religionen, die im Mittelalter auf der iberischen halbinsel vorherrschten.
Ibn Ruschd (lat.: Averroes) geb. 1126 in Córdoba
„Eine Gesellschaft wird frei und gottgefällig, wenn niemand mehr aus Angst vor dem Fürsten oder vor der Hölle handelt oder aus dem Wunsch nach Belohnung durch einen Höfling. Und wenn niemand mehr sagt: „Dies gehört mir".
Moses Maimonides, geb. 1138 in Córdoba
„Für Ibn Ruschd ist das ‚Heilige Buch' nicht unsere Thora, sondern der Koran. Aber wir stimmen darin überein, was uns Vernunft und Offenbarung bedeuten. Sie sind zwei Erscheinungsformen ein und derselben göttlichen Wahrheit. Einen Widerspruch findet man nur bei eine wörtlichen Auslegung der Schriften, bei der die ewige Bedeutung in Vergessenheit gerät."
Moses Maimonides, geb. 1138 in Córdoba
„Zweckbestimmung einer gottgefälligen Gesellschaftsordnung ist das Wachsen des Menschen, nicht des Wohlstandes. Der Mensch wächst, wenn er sich in der Vernunft ausbildet."
Alfons X, der Weise, geb. 1257 in Toledo
„Ich hatte das große Glück, in Toledo aufgewachsen zu sein, wo mich Bischof Raymond mit seinen christlichen und jüdischen Übersetzern in die Kultur des Islam eingeführt hatten. Ich habe den Koran und den Talmud ins Lateinische übersetzen lassen."
Alfons X, der Weise, geb. 1257 in Toledo
„Die rühmlichste Tat meiner Regierungszeit war, dass ich in Murcia mit dem moslemischen Philosophen Mohammed Al-Rikuti eine Schule gegründet habe, wo zum ersten Mal in der Welt Christen, Juden und Moslems zugleich lehrten."
Ibn Arabí, geb. 1156 in Murcia
„Die Männer des Gesetze sagen uns: ‚Dies ist verboten!' – ‚Das ist erlaubt!' Niemals sagen Sie: ‚Du bist selbst für dich verantwortlich!' – ‚Denke selbst nach!' Dabei fordert der Koran uns dazu auf jeder Seite auf."
Ibn Arabí, geb. 1156 in Murcia
„Meine Religion ist die Liebe. Wohin der Liebe Karawane zieht, ihr Weg ist mein Weg des Glaubens."