Anastasia Lüpkes
Hafsa, die Verskünstlerin aus Granada
Hafsa, eine tapfere Frau, die ihren Lebensweg selbst bestimmen wollte. Sie liebte leidenschaftlich und schrieb darüber Gedichte, mit denen sie nicht nur bei ihrem Geliebten, sondern auch bei einem Fürsten die Leidenschaft entfachte. Das entstandene Liebesdreieck war zum tragischen Finale vorbestimmt.
Herr der Völker, dessen Hilfe alle
Menschen suchen auf des Lebens Wegen:
Gib mir einen Schild, daß ich nicht falle
Bei des Schicksals überharten Schlägen.
Trag mit eignen Händen darauf ein:
"Preis und Ruhm sei Allah ganz allein!"
Hafsa
nachgedichtet von J. Jahn
Das wirkliche Leben übertrifft bei weitem jede Fiktion, hat eines Tages ein guter Freund zu mir gesagt. Und da muss ich ihm recht geben, vor allem, wenn ich an den Lebensweg von Hafsa Bint Al Rakuniya, einer Dichterin aus dem Granada des 12. Jahrhunderts denke. Ihre Lebens- und Liebesgeschichte erinnert eher an eine orientalische Seifenoper als an eine klassische Dichterbiografie. Sie verfügt über alle dazu nötigen Zutaten: Liebe, Leidenschaft, Eifersucht, Machtspiel, Liebesdreieck, Verrat und Hinrichtung. Ein berühmter Hofdichter der Alhambra Ibn Al-Khatib beschrieb Hafsa zwei Jahrhunderte später als „eine Frau, einzigartig in ihrer Schönheit, Eleganz, literarischen Kultur und Schärfe."
1
Historische Kulisse
Heute unternehmen wir eine Reise ins Granada des 12. Jahrhunderts...

Die Glanzzeit des Kalifats und Epoche der ausschweifenden Freizügigkeit der Taifasreiche, als die Frauen sich in der Öffentlichkeit mit unbedecktem Haupt zeigen konnten, bei Festgelagen der verbotene Wein getrunken und gedichtet wurde, sind schon vorbei. Es herrschen die Almoraviden, „Männer vom Kloster", ein in den Kämpfen abgehärteter Berberstamm aus der Wüste Sahara. Diese in schwarze Gewänder eingehüllte Religionskrieger versetzen bei ihrer Ankunft die Bevölkerung von Al-Andalus in Angst und Schrecken. Die fanatische Kämpferschar verachtet die von dem lasterhaften Lustwandel und Luxusgütern verweichlichte und verkommene andalusische Aristokratie und vernichtet somit die ritterliche Kultur, die in den Jahrhunderten zuvor entstand. Im Gegensatz zu den Taifaskönigen zeigen sie wenig Toleranz den Christen und den Juden gegenüber. Wie ein schwarzer Schleier fällt Ihre Herrschaft über das Kulturleben von Granada. Jüdische Gelehrte müssen flüchten, die Seidenmanufaktur wird anfangs eingestellt, die Mozaraber werden nach dem Versuch die christliche Rückeroberung zu ermöglichen, rückhaltlos niedergemetzelt, die Überlebten werden aus Granada verbannt. Das Handwerk und der Handel nehmen infolgedessen großen Schaden.

Die andalusische Bevölkerung stöhnt unter den von den Almoraviden aufgezwungenen Lebensbedingungen und suchen wieder im benachbarten Marokko nach Hilfe. Denn da ist um 1130 in den Bergen des Hohen Atlas eine neue Generation der Religionskrieger entstanden, die dieses Mal gegen den Sittenverfall im Almoravidenstaat kämpfen. Ihr Anführer Ibn Tumart, von der Mystik al-Ghazalis beeinflusst, lebt als Asket, er predigt nicht mehr auf Arabisch, sondern in Berber, um von seinen Leuten besser verstanden zu werden. Er stellt die Einheit Gottes ins Zentrum seiner Lehre. Daher kommt auch der Name: die Almohaden bedeutet so viel wie die „Einheitsbekenner".

Der Nachfolger von Ibn Tumart, Abd al-Mumin ist bereit, den Andalusiern im Kampf gegen die Almoraviden die Hand zu reichen. So geschieht es, dass um das Jahr 1147 die nächste Welle der fanatischen Glaubenskrieger auf die Halbinsel schwappt. Der Kampf um die Machtposition zwischen den Almoraviden und Almohaden dauert über zwei Jahrzehnte. Am Schluss siegen die Almohaden. Die Andalusier, die auf eine Erlösung und Auflockerung der Regeln gehofft hatten, stießen auf neue Fanatiker.

Es ist nun absolute Pflicht, der almohadischen Doktrin zu folgen und sich an den Pfeilern des muslimischen Glaubens zu halten, wer dies nicht tut, wird als Ketzer abgestempelt und zu Tode verurteilt. Um ein klares Zeichen ihrer Religiosität zu setzen, werden nun die Münzen nicht rund, sondern quadratisch geprägt, sie erinnern jetzt an die Seiten des Korans. Somit wird der Bevölkerung vor Augen geführt, dass sich das Ende des geschichtlichen Kreislaufes naht und sie vor dem Anbruch der Endzeit stehen.

2
Andalusische Seide
In ihrem religiösen Eifer würgen die Almohaden die andalusische Wirtschaft, die auf der Herstellung und Handel mit den Luxusgütern basiert, fast vollkommen ab. Hier wird seit eher Papier hergestellt, mit dem auch der Papst in Rom beliefert wird. In den andalusischen Münzstätten werden nicht nur Golddinare, sondern auch Maravedis für die Christen geprägt. Der Begriff „Maravedi" wird nicht umsonst von dem Wort „Almoraviden" abgeleitet. Aber die Haupteinnahmequelle und die Industrie, von der viele Leute in Granada und Almeria profitieren, ist seit langem die Seidenproduktion.

Seit den Zeiten des Umayyaden-Kalifats von Cordoba stellten sich die Seidenproduktion und Seidenhandel als eine lukrative Tätigkeit heraus und bildete eine wichtige Einnahmequelle für die Steuerkassen. Es waren die Sklaven aus Samarkand, die als Kriegsbeute von Umayyaden nach Al-Andalus verschleppt worden waren, die die Einheimischen in die Geheimnisse der Raupenzucht einweihten. So verwandelte sich schnell der Südhang von Sierra Nevada in einen riesigen Maulbeerbaumhain. Der mittelalterliche Autor Aben Raxid bezeichnet diese Gegend als „Seidenland", was heutzutage unter dem Toponymen Alpujarras bekannt ist. Es sind keine Maulbeerbäume seither erhalten geblieben. Die christlichen Neuankömmlinge wollten die maurischen Traditionen nicht mehr weiterpflegen. Aber damals lieferte diese Region den Rohstoff und in den Webstühlen von Granada und Almeria wurden die feinsten und buntesten Seidenstoffe mit floralen Motiven oder Gazellen als Symbol der weiblichen Schönheit und Anmut bestickt, gewebt, die später bei den Adeligen und der Monarchie Europas und Orients hoch im Kurs standen. Die Seide wird anfangs sowohl bei Almoraviden als auch bei Almohaden als Luxusware und Dekadenzzeichen in Ungnade fallen. Die Leute, die aus der Wüste bzw. aus den Bergen stammten, verlangten von den Andalusiern, dass sie ebenfalls raue Stoffe aus Wolle trugen, doch mit der Zeit wurden sie vom Leben auf der Halbinsel verwöhnt und legten ebenso schöne Seidenkleider an.
3
Hafsa bint al-Hayy
Die Epoche der politischen Umwälzungen und Machtwechsel zwischen zwei Berberstämmen der Almoraviden und Almohaden dient nun als die historische Kulisse für den Lebensweg von Hafsa Bint Al Rakuniya. Sie kam 1135 in Granada auf die Welt als Tochter eines angesehenen Mannes berberischer Abstammung. Ihr Name ist ein Programm, Hafsa kleine Löwin, eine Frau mit starkem Charakter, einer scharfen Zunge und wachem Verstand, die selbst ihren Weg bestimmen und nicht von ihrem Vater an einen für sie unattraktiven Mann verheiratet werden will. Trotz all dem religiösen Fanatismus darf man nicht vergessen: In der vorislamischen Zeit herrschte in der berberischen Gesellschaft das Matriarchat. Während die Männer entweder in die Kriege zogen oder mit den Karawanen den Handel betrieben, bestimmten die Frauen das Familienleben, so entschieden sie auch selbst, wen sie heiraten. Hafsa wird wohl jenen berberischen Frauen Ehre machen wollen.

Ihre poetische Begabung wird früh erkannt und sie macht auf sich am Hofe des almoravidischen Gouverneurs von Granada Yahya ben Ganiya aufmerksam. Die Zeit am Hofe von Granada lässt Hafsa zu einer hübschen und klugen Frau reifen. Im Alter von neunzehn Jahren lernt sie da auch einen jungen Dichter namens Dschafar aus einer noblen Familie Banu Said kennen. Der Stamm Banu Said stammt ursprünglich aus Jemen, aber im Laufe der Zeit haben die Vorfahren von Dschafar hohe gesellschaftliche Stellung in Al-Andalus erworben.

Der junge Dschafar fühlt sich von der jungen Berberin angezogen, aber er weiß auch, dass die Araber selten den Bund der Ehe mit den Berbern schließen. Doch dieser Umstand soll die Leidenschaft eher entfachen, als ihr im Wege zu stehen. Außerdem, unangemessen ihrer Zeit und Kultur übernimmt Hafsa oft die Initiative, um Treffen mit dem talentierten Dichter zu veranlassen. Sie drängt und besteht auf einem baldigen Stelldichein.
Wirst du nun kommen, oder soll ich dich besuchen?
Mein Herz ist so geneigt, dir alles zu erfüllen.
Mein frühlingssüßer Mund will deine Küsse buchen,
Mein wehend Haar will schattig dich umhüllen.
Mög dir die Hitze großen Durst bescheren:
Ich kann zur Mittagsruh zu deinem Lager kommen.
Gib eilig Antwort, Liebster. Sehnsucht mög dich lehren,
Daß Stolz und Kühle dir in keiner Weise frommen.
Hafsa an Abu Dschafar
nachgedichtet von J. Jahn
Ein Gast steht draußen. Sein Gazellenrücken
Trägt ein Gesicht so schön wie Vollmondschein.
Die Blicke, die er wirft, sie wollen dich entzücken
Und seine Lippen sind noch süßer als der Wein.
Die Rose selbst erbleicht vor seinen Wangen.
Beim Lächeln läßt er Perlenzähne sehn.
Er wartet. Willst du diesen Gast empfangen,
Geliebter? Oder soll ich wieder gehn?
Hafsa an Abu Dschafar
nachgedichtet von J. Jahn
Hafsa und Dschafar sind beide Verskünstler. Spielerisch verschleiern sie ihre Nachrichten zueinander in Metaphern. Während sie die improvisierten Gedichte an den Poesieveranstaltungen wie z.B. Dichterwettstreiten vortragen, tauschen sie geheime Botschaften aus, ohne von anderen Gästen verstanden zu werden. Während die Anwesenden in den Gedichten Naturbeschreibung zu erkennen glauben, ahnen sie nicht, dass Dschafar seine Geliebte als „Garten der Poesie" getauft hat. Dieser Garten erquickt den Besucher mit frischem Wasser. Hier verwandelt sich der Mund der Geliebten in ein Labsal, an dem sich der durstige Geliebte erfrischt. Ihre langen Zöpfe werden zu den Schatten spendenden Baumzweigen. Für Hafsa wird ihr Geliebter zu einem Windhauch, der die Blumen ihres Gartens zärtlich streichelt, ebenso ist Dschafar für sie wie ein Regen, der die von der Leidenschaft verwüstete Erde ihrer Seele wieder zum Blühen bringt.
Nun möge Allah segnen jene Nacht,
Da wir uns in der Gärten Schoß versteckten,
Da uns der Hügel seine Brise dargebracht
Und alle Nelken ihre Düfte für uns weckten.
Die Tauben girrten uns ein Lied. Die Myrtenzweige
Am Bach vergnügten sich, im Takte mitzuwippen,
Als wir zum Spaß des Gartens bei des Tages Neige
Uns heiß umarmt und uns geküßt die Lippen.
Abu Dschafar an Hafsa
nachgedichtet von J. Jahn
Lob sei den Lippen, die sich andern Lippen fügen!
Jetzt wurde endlich die Erfahrung mein,
Und Allah weiß, ich spreche keine Lügen:
Der Küsse Duft ist süßer als der Wein.
Hafsa an Abu Dschafar
nachgedichtet von J. Jahn
4
der unverschämte Komplize
In die Beziehung, die Hafsa und Dschafar führten, wurden einige Dichterfreunde eingeweiht. Zu denen zählte Muhammad Abd Ar-Rahman Al-Kutandi. Wie sein Beiname verrät, stammte er aus der Ortschaft Cutanda in der Nähe von Teruel. Der zügellose und schamlose Lebemann, der einen ausschweifenden Lebensstil pflegte, wurde zu einem Freund und impertinenten Komplizen des Liebespaares in Granada.
O, Abu Dscha'far, Sohn von edlem Stamme,
Dein Liebesglück, es hat nicht seinesgleichen,
Und du genießest ungestört die köstlich-süße Flamme
Wo dich der Neider Augen nicht erreichen.
Willst du nicht einem guten Freund gestatten,
- Er ist diskret und läßt kein Wort davon entrinnen -
Daß er, wenn Lust euch eint in stiller Lauben Schatten,
Heimlich zugegen sei mit seinen Dienerinnen?

Al-Kutandi (an Abu Dscha'far)
nachgedichtet von J. Jahn
O nein, der Garten fand nicht Spaß an unsern Lüsten.
Er zeigte nichts als Eifersucht und Neid.
Der Bach war böse, als wir froh uns küßten.
Die Tauben gurrten nur ihr eigen Liebesleid.
Drum sei verschwiegen, fällt es dir auch schwer.
Denk an die Folgen, wenn uns andre sähen.
Die Sterne, merke dir, sie schienen zu uns her
Nur zu dem Zwecke, um uns auszuspähen.
Hafsa an Abu Dschafar
nachgedichtet von J. Jahn
Wir schlugen dein Ersuchen ab nach gutem Brauche.
Dennoch versuchtest du, uns heimlich zu begehen.
Du fielst dabei in eine Grube voller Jauche.
So ist dir, Freundchen, wahrlich recht geschehen.
Da stehst du nun, bedeckt mit Kot und Seiche,
Als wollt' der Unrat deiner Brust nach außen scheinen.
Nimm dich in acht, du alter Lustmolch! Weiche
Von jenen Orten, da wir uns vereinen!
HAFSA und ABU DSCHA'FAR (an Al-Kutandi)
nachgedichtet von J. Jahn
5
Abu Dschafar ibn Said
Die Liebesgeschichte von Hafsa und Dschafar entwickelte sich vor der historischen Kulisse des Machtwechsels. Die beiden lernten sich 1154 am Hofe des almoravidischen Gouverneur von Granada Yahya ben Ganiya kennen. Hafsa genoss als eine talentierte junge Dichterin Wertschätzung am Hofe. Dort hielt sich auch oft der Sohn des Wesirs des almoravidischen Statthalters von Granada, Dschafar. Sein Vater Abd al-Malik war ein angesehener Politiker, Krieger und Literat. Zu der damaligen Zeit war Granada die letzte Stadt, die noch den Almoraviden Treue hielt. Aber der Stern der Almoraviden schien schon endgültig dem Untergang geweiht. Schon ein Jahr darauf, 1155 ergab sich Granada dem Ansturm der Almohaden.

Nach dem Sturz der Almoraviden und zur Zeit der darauf folgenden politischen Wirren zog sich der Wesir Abd al-Malik aus der Politik zurück und erklärte sich in Alcala la Real, über die er herrschte, als unabhängig. Er eilte nicht, sich an die Seite des Siegers zu schlagen und den Almohadenkalif Abd al-Mumin als seinen neuen Herrscher anzuerkennen und sollte für diese falsche Entscheidung mit seiner Freiheit bezahlen. Auf Befehl von Abd al-Mumin wurde er gefangen genommen und für einige Tage im Kerker eingesperrt. Somit wollte der Almohadenkalif eine klare Botschaft an andere Adelige senden, die sich noch nicht freiwillig unter die Fahnen der Almohaden gestellt hatten. Nachdem die Lektion erteilt war, wurde der Gefangene wieder freigelassen. Nun, als der gesellschaftliche Sturm abgeflaut war, kehrte die Familie Banu Said mit Abd al-Malik an der Spitze wieder auf die politische Bühne zurück. Doch diese ungerechte Behandlung und Ehrenverletzung seitens des Almohadenkalifen Abd al-Mumin musste tiefe Spuren nicht nur bei Abd al-Malik selbst, sondern bei der ganzen Familie Banu Said hinterlassen haben.

Nachdem die Macht in Al-Andalus gesichert war, kehrte der Alhmohadenkalif nach Marrakesch zurück, wo er seinen Regierungssitz behielt. Um das neu eroberte Land im Griff zu halten, setzte er in den Städten von Al-Andalus seine Söhne als Statthalter ein. 1156, ein Jahr nach dem Granada in das Almohadenreich einverleibt worden war, kam sein Sohn, der junge Abu Said Utman nach Granada. Er stammte genauso wie die anderen Almohaden aus dem Atlasgebirge, in Granada war er ein Fremder und brauchte eine Person an seiner Seite, die sich gut auskannte und von den Andalusiern respektiert wurde.

Da Abd al-Malik in seiner Zeit um eine gute Ausbildung für seine Kinder gesorgt hatte, erwies sich sein Sohn Dschafar als eine geeignete Person, am Hofe vom neu angekommenen Gouverneur Abu Said Utman eine Stelle als Wesir und Ratgeber zu belegen. Anfangs schienen beide Männer sich gut zu vertragen, doch von der innigsten Freundschaft konnte nicht die Rede sein. Unterschwellig spielte die Verachtung vor dem Neuankömmling, vor seiner rüden Art mit, außerdem konnte Dschafar nicht vergessen, dass der Vater von dem Gouverneur, seinen Vater ins Gefängnis geworfen hatte. Normalerweise fühlten sich Araber den Berbern gegenüber überlegen, aber die Zeiten hatten sich gewandelt, die Berber waren an der Macht. Und nun musste sich der noble Dschafar dem ungehobelten Berber aus dem Atlas unterordnen.

Schon bald gelang es dem talentierten Araber die Gunst des Gouverneurs zu gewinnen, in dem er seine Dienstbeflissenheit bewies und seinen Herrscher in den Kassiden verherrlichte. Dschafar war der jüngste unter den Entsandten, denen 1160 die Ehre erwiesen war, den Kalifen Abd al-Mumin in Gibraltar zu empfangen. Bei diesem Empfang trug er ein Gedicht vor, indem er den Kalifen glorifizierte, was dem letzten sehr gefiel und er Abd al-Malik zu so einem hervorragenden Sohn gratulierte.
6
Liebesdreieck
Zur Zeit der Ankunft von Abu Said Utman lebten Hafsa und Dschafar seit schon zwei Jahren ihre poetische Liebesgeschichte. Als der Neuankömmling Hafsa zum ersten Mal sah, verliebte er sich Hals über Kopf in hübsche Dichterin. Dschafar wurde es sofort klar, wenn er unter den Günstlingen des Fürsten bleiben wollte, sollte er seine Liebesbeziehung mit Hafsa geheim halten.
Geliebte, deren Namen ich verschweige,
Mich brachte dein Besuch in große Not.
Die Eifersucht des Fürsten macht mich feige:
Erwischt er uns, droht mir ein jäher Tod.
Ich bitte dich: laß keinen Tag vergehen,
An dem du nicht Gebete sprichst für mich.
Auch ich gedenke dein in den Moscheen
Und meine Liebe wächst beständiglich.
Wenn in der Nacht die Turteltauben schweigen,
Dann seufze ich, weil mich die Sehnsucht quält.
Wann werden wir, einander ganz zu eigen,
Erfüllungen genießen, ungezählt?
Du aber schmollst, weil ich dich nicht empfangen,
Verweigerst mir den Gruß und übergehst mein Schreiben.
Erhöre mich! Sonst wird mich mein Verlangen
Nach deiner Liebe zur Verzweiflung treiben.
Abu Dschafar an Hafsa
nachgedichtet von J. Jahn
Wohl trafen deine Verse bei mir ein,
Doch will ihr Inhalt mir in keiner Weise passen.
Du willst in Liebesdingen so erfahren sein
Und hast nicht Mut genug, dein Glück zu fassen?
Wer wahrhaft liebt, den hemmen nicht Bedenken.
Der weiß geschickt, Gefahren auszuweichen.
Was läßt du dich von der Verzweiflung lenken,
Wenn du nur klug sein mußt, um alles zu erreichen?
Noch immer spenden Wolken kühlen Regen.
Noch immer ziehn sich Gärten meilenweit hinan,
In deren Lauben man auf unbegangnen Wegen
Ganz insgeheim einander finden kann.
Dort öffnen sich die Blüten. Und der volle
Süßschwere Duft sinkt satt auf überreife Beeren -
O wüßtest du, aus welchem Grund ich schmolle,
Du würdest dich darüber nicht beschweren.
Hafsa an Abu Dschafar
nachgedichtet von J. Jahn
Geheime Rendezvous, Eifersuchtsanfälle, eine Beziehung, die zu einem gefühlsbetonten Tanz von Nähe und Distanz wird, entfachten anfangs die Flamme der Leidenschaft erst richtig. Liebesverlangen und Sehnsucht wurden zum Leitmotiv der Liebesdichtung der beiden.

Seit der Ankunft des Fürsten konnte Hafsa zwar seinem Liebeswerben widerstehen, aber sie sah sich schon bald gezwungen, ihre Beziehung mit Dschafar aufzugeben, weil sie seines Wankelmutes überdrüssig wurde. Die Flatterhaftigkeit des angesehenen und reichen Hofdichters und Wesirs, dem seinem Status zufolge auch ein Harem zustand, trugen nicht unbedingt zur Festigung des Liebesverhältnisses bei. Obwohl Konkubinen zum Alltag der damaligen Zeit gehörten, erhob die selbstbewusste Hafsa den Anspruch auf Exklusivität ihrer Beziehung. Die Vorstellung, ihren Geliebten mit anderen zu teilen, wurde zu einer unerträglichen seelischen Qual.

Aus den vorwurfsvollen Gedichten von Hafsa wird ersichtlich, dass Abu Dschafar eine Affäre mit einer dunkelhäutigen Sklavin hatte. Hafsa nimmt kein Blatt vor den Mund, um einen guten Geschmack von ihrem Liebhaber in Frage zu stellen und ihm anzulasten, dass er sich von so einer unattraktiven Frau angezogen fühlt. Sie bleibt dabei der Tradition der arabischen Dichtung treu, in der die Frau als ein Garten dargestellt wird, während ihre äußerlichen Reize mit Blumen verglichen werden.


Tú, el más gentil entre los hombres

Antes de que el destino te llevara a caer,

Estás enamorado de una negra

Que es igual a una noche que oculta su hermosura.

Su oscuridad no refleja la luz, el rubor oculta.

Dime, pues eres quien mejor conoce

A los que aman la belleza:

Por Dios, ¿Quién se enamora de un jardín

Donde no hay rosas ni azahares?
Hafsa an Abu Dschafar
Ich bin auf meinen eignen Schatten eifersüchtig.
Er könnte mich vielleicht mit dir betrügen.
Ach, schlöß ich bis zum jüngsten Tag dich züchtig
In meine Augen ein, es würd, mir nicht genügen.
Hafsa an Abu Dschafar
nachgedichtet von J. Jahn
Hafsa widmete auch ihrem Verehrer dem Fürsten Abu Said Utman Gedichte, nur diese unterscheiden sich im Grunde von ihrer Liebeslyrik und sind in die Reihe der Lobreden einzuordnen. Während sie sich, was Dschafar betrifft, eifersüchtig zeigt, wünscht sie Abu Said Utman viele liebende Frauen an seiner Seite.
Erhabner Fürst vom Stamme der Kalifen,
Der du den Augen Allahs Freude schenkst,
Nimm für den heutgen Festtag meinen tiefen
Ergebnen Dank und Gruß, auf daß du mein gedenkst.
Mög sich dir jeder Wunsch gewährt enthüllen!
Die schönsten Frauen mögen sich dir liebend neigen!
Du mögest jeden Tag mit frohem Sinn erfüllen
Und mögst dich meinem Freunde gnädig zeigen!
Hafsa an den Gouverneur Abu Said Utman
nachgedichtet von J. Jahn
Und trotz der eigenen Untreue ist Dschafar nicht frei von Eifersuchtsanfällen. Das wird deutlich, wenn wir die Gedichte lesen, wie sich nun Hafsa selbst vor ihm rechtfertigen muss, wenn die Gerüchte verbreitet werden, dass der Fürst sie umwirbt.
Du bist mein Erster, Liebster. Glaube mir:
Die Leute lügen, die dir andres sagen.
Wie hätte ich, Geliebter, denn vor dir
Je einen anderen im Herzen können tragen?
Hafsa an Abu Dschafar
nachgedichtet von J. Jahn
Nach vier Jahren sollte sich schon die leidenschaftliche und turbulente Beziehung zwischen Hafsa und Dschafar erschöpft haben. 1158 wurde Hafsa in Begleitung anderer Dichter und Vertreter der Adelsfamilien von Granada nach Rabat zum Hofe von Abd al-Mumin geschickt. Hier bekam sie auch ihren Beinamen al-Rakuniyya. Er leitet sich vom Wort Rakuna ab, das ist eine Art literarischer Salon. Im Gegensatz zu der arabischen, von den Männern dominierten Gesellschaft unterschieden sich die berberischen Stämme bemerkbar. In der vorislamischen Zeit herrschte unter den berberischen Beduinen das Matriarchat und den jungen Frauen war es auch gestattet, an poetischen Stammesversammlungen teilzuhaben. Diese Tradition wird von den Almohaden weitergepflegt. Es ist bemerkenswert, dass die Hochblüte der weiblichen Poesie in Al-Andalus auf die Zeit der Taifasreiche und später der Almohaden fällt, während zur Zeit der Herrschaft der arabischen Dynastie der Nasriden die Zahl der schreibenden Frauen deutlich abnimmt.

Als Dschafar endlich merkte, dass er seine Geliebte an den Fürsten verloren hatte, konnte er kaum seinen Hass gegen Abu Said Utman hinter der Freundschaftsmaske verstecken. Die übliche Dienstbeflissenheit gegenüber seinem Herrn kippte ins Gegenteil, während er früher sein Sekretär und Vertrauensperson war, für ihn bei den entsprechenden Gelegenheiten am Hofe Loblieder gedichtet und vorgetragen hatte, verwandelte sich der almohadische Sprössling für den Hofdichter in die Zielscheibe seiner Satire, Beleidigungen und Vorwürfe. In einem der Gedichte an Hafsa kann er seine verbitterte Verachtung vor dem Fürsten kaum verbergen. Er fragt Hafsa, was für eine Art Leidenschaft sie wohl für diesen dunkelhäutigen empfunden hat, wenn es das war, was sie wollte, würde er ihr einen schöneren für nur zwanzig Dinaren auf dem Sklavenmarkt kaufen. Vom Diensteifer war keine Spur mehr geblieben, jetzt zeigte er, dass er sich diesem berberischen Neuankömmling weit überlegen fühlte.
Schwarz hing der Himmel voll an diesem Tage,
Da wir Vergnügen suchten in der Jagd.
Die Nacht zuvor das wilde Zechgelage
Hatte uns den Gedanken eingesagt.
Und trunken tanzten wir zum Klang der Tamburine
Die ganze Nacht, bis wir beim Morgengrauen
Die Falken warfen, die uns wohlgedieh'ne
Und bunte Vögel packten mit den spitzen Klauen.
Die grauen Falken warn wie Sterne glatt,
Die roten waren wie der Frühe erstes Tagen.
Dann aber waren wir der Vögel satt,
Und wir begannen wieder Wein zu jagen.
So landeten wir hier im Wachlokale.
Der Wein ist gut. Die Fässer stehen offen.
- Kumpane, packt die Mädchen, die ich zahle!
Ich bin zu gleichem Tun ein wenig zu besoffen.
Und sagt dem eifersüchtgen dummen Wichte,
In dessen Dienst ich jämmerlich verrotte,
Daß ich ein Falke bin, daß ich auf ihn verzichte
Und stolz im Glück mit Hafsa seiner spotte!
Abu Dschafar an Abu Said Utman
nachgedichtet von J. Jahn
Diese Geschichte würde vielleicht nicht so eine tragische Wendung nehmen, wenn es nur bei Spott geblieben wäre. Die Spannung, die jedoch durch diese ungeschickte Dreiecksbeziehung entstand, veranlasste Abu Dschafar, sich der nationalistischen Bewegung mit Unabhängigkeitsbestrebungen anzuschließen, die von Ibn Mardanisch, dem Herr von Murcia angeführt wurde und zum Zweck hatte, Almohaden aus Andalusien zu vertreiben. Es gelang sogar dem Schwiegervater von Ibn Mardanisch für ein paar Monate im Jahre 1162 Granada zu beherrschen. Es konnte soweit kommen, weil die jüdische Bevölkerung, der Unterdrückung durch die Almohaden überdrüssig, Unterstützung geleistet hatte.

Die Späher des Fürsten kundschafteten aus, dass Dschafar auch an der Revolte beteiligt war, aber ihm gelang es im letzten Moment, sie zu überlisten und nach Malaga zu flüchten. Dort beabsichtigte er ein Schiff nach Murcia zu nehmen, doch kurz davor wurde er von den Häschern des Fürsten geschnappt, hinter Schloss und Riegel gesperrt und des Staatsverrats angeklagt. Ibn Duwayra, dem Vetter von Abu Daschafar wurde erlaubt, dem Gefangenen einen letzten Besuch im Kerker abzustatten. Als er den ehemaligen Wesir in Ketten sah, überkam ihn tiefe Traurigkeit. Abu Dschafar sollte seinen Verwandten mit dem folgenden Gedicht getröstet haben.
Warum beweinst du mich? Ich hab auf dieser Erde
Die herrlichsten Vergnügungen genossen:
Aß weißes Hühnerfleisch, sooft ich es begehrte,
Und hab den besten Wein in mich hineingegossen.
Ich brannte bestes Wachs in meinen Kerzen.
Ich ging in Seide, ließ mich stets bedienen,
Ich hatte immer einen Vers im Herzen,
Ich hatte Fraun und hatte Konkubinen.
Und eine hatte ich, die habe ich geliebt.
Ich werde morgen dafür hingerichtet.
Ich geh zu Ihm, der alle Schuld vergibt
Und alles Leid auf dieser Erde schlichtet.
Abu Dschafar an Ibn Duwayra
nachgedichtet von J. Jahn
Als die Nachricht von der Gefangennahme und der bevorstehenden Hinrichtung Hafsa erreichte, bereute sie ihre Zurückweisung sofort, ebenso, dass sie dem Begehren des Statthalters nachgegeben hatte, schrieb sie mehrere Gedichte, in denen sie die Trennung mit Dschafar beklagte.
Ein Gruß, der alle Knospen öffnen macht
Und der die Tauben weckt zu neuem Sange,
Sei jenem fernen Liebsten dargebracht,
Nach dem mit ganzer Seele ich verlange.
O glaube nicht, du heißgeliebter Mann,
Daß ich dich je vergessen kann.
Hafsa an Abu Dschafar
nachgedichtet von J. Jahn
Ich frag den Donner in der Nacht:
Hat jetzt mein Liebster auch an mich gedacht?
Mein Herz schlägt ihm wie Donner laut entgegen,
Und meine Tränen fließen wie der Regen.
Hafsa an Abu Dschafar
nachgedichtet von J. Jahn
Aber die traurigste und die sehnsüchtigste Poesie der Welt hätte Dschafar vor der Hinrichtung nicht mehr retten können, wie auch? Er wurde zu der schönsten Jahreszeit, wenn alle Gärten sich in Blütentracht verkleiden, im Frühling (März-April) 1164 auf Befehl von Abu Said Utman hingerichtet. Zwei Versionen davon sind überliefert, Ibn Duwayra erzählte, dass Dschafar gekreuzigt wurde, laut der Version des Großneffen starb Dschafar durch die Enthauptung. Den Überlieferungen zufolge soll sich die Hinrichtung in Malaga zugetragen haben.

Nach dem Mord von Dschafar, alle Warnungen missachtend, forderte Hafsa den Fürsten heraus, indem sie sich wie eine Witwe kleidete und bitterlich die Gefangennahme und den Tod ihres Geliebten in den bissigen Gedichten beweinte.
"Por vestirme de luto me amenazan
por un amado que me han muerto con la espada.
¡Qué Dios tenga clemencia con quien sea
liberal con sus lágrimas,
o con quien llore por aquél que mataron sus rivales,
y que las nubes de la tarde,
con generosidad como la suya,
rieguen las tierras donde quiera que se vaya!"
Hafsa an Abu Dschafar
nachgedichtet von J. Jahn
Nach diesem tragischen Erlebnis zog sich Hafsa vom Hofe zurück, gab die Dichtkunst auf und widmete sich vollkommen der Erziehung der noblen Mädchen. Um das Jahr 1184 wurde sie von dem Nachfolger von Abd al-Mumin, dem Kalifen Jakub Al Mansur nach Marokko eingeladen und erzog die letzten sieben Jahre ihres Lebens die almohadischen Prinzessinnen beim Hofe in Marrakesch, wo sie auch im Alter von 56 Jahren starb. Vielleicht wäre nichts von ihrer Lebens-, Liebes- und Leidensgeschichte erhalten geblieben, wenn sich der Biograf und Großneffe von Abu Dschafar nicht darum bemühte, den Diwan, eine Gedichtsammlung von seinem Verwandten zu erstellen. Da ein Teil von ihrem poetischen Schaffen in einem Dialog mit Dschafars Gedichten stand, wurden 17 Gedichte von ihr inkludiert, während von Dschafar 71 Gedichte überliefert sind. Nichtsdestotrotz sind die erhaltenen Zeilen imstande eine ganze Liebesgeschichte voll von Glück, Leidenschaft und Eifersucht zu erzählen, die sich vor neun Jahrhunderten in Granada zugetragen hat und uns immer noch berührt.
Mein Liebster ist ein Stern. Denn meine Augen füllen
Sich an mit Dunkelheit, wenn ich ihn nicht mehr sehe.
Jetzt ist er fern. Und mir ist wehe,
Kann ich mich nicht in seine Strahlen hüllen.
Hafsa an Abu Dschafar
nachgedichtet von J. Jahn
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